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Bettlerzeichen der Stadt Münster von 1597 oder 1599 © LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster / Münzkabinett / Foto: LWL-MKuK/Sabine Ahlbrand-Dornseif.
Scham und Ausgrenzung als Konsequenzen der äußeren Kennzeichnung von Armen
Die Stigmatisierung von Armut wirkte sich nicht nur auf das soziale Ansehen der Betroffenen innerhalb der Ständegesellschaft aus, sondern führte auch zu Ausgrenzung durch äußerliche Merkmale wie beispielsweise Kleidung. Gerade das Stigma der unmoralischen und leichtfertigen Lebensführung, das oft als Armutsursache angeführt wurde, setzte ab dem ausgehenden Mittelalter neue Normierungsprozesse in Gang. Würdige Arme sollten von unwürdigen Armen schon äußerlich unterschieden werden können. So lassen sich in vielen Verordnungen der einzelnen Städte und Herrschaftsgebiete, die das Betteln unter bestimmten Voraussetzungen erlaubten, auch eigene Abschnitte mit Regelungen zur Kennzeichnung der Bettler finden.
Eines der häufig gewählten Mittel zur Regulierung und Überwachung des Bettelwesens war das Bettelzeichen, durch welches es oftmals nur noch ausgewählten, einheimischen Armen ermöglicht wurde, Almosen zu sammeln. Als Vorreiter hierfür gilt die Stadt Nürnberg, die bereits 1370 erste Erkennungszeichen für Bettler einführte und 1486 „weißblecherne Pettlerzeichen“ herstellen ließ. Form, Farbe und Material der Zeichen waren örtlich verschieden. Oft waren die Armenzeichen aus Stoff und mussten gut sichtbar auf der Kleidung der bettelnden Personen angebracht sein. Auch gab es die Möglichkeit, würdige Arme zu kennzeichnen, indem sie Erkennungszeichen um den Hals tragen mussten. Diese konnten oftmals nicht abgenommen werden, wie es beispielsweise die Stadt Löwen 1453 anordnete. Aus Antwerpen ist ein Bettlerzeichen von 1459 erhalten, welches wie eine Verplombung eine um den Hals zu tragende Schnur verschloss.
1675 erließen Bürgermeister und Rat eine Bettelordnung für die Stadt Osnabrück, die ein bleiernes Ratszeichen erwähnt. Mit diesem war es bestimmten einheimischen Armen möglich, donnerstags in der Stadt betteln zu gehen. Jedoch genügte in Osnabrück das alleinige Tragen des Zeichens nicht für eine Bettelerlaubnis. Der rechte Ärmel der Kleidung musste zusätzlich blau gefärbt sein. Eine städtische Duldung der Bettler lässt sich vielerorts erkennen, jedoch gingen damit auch immer Scham und Diskriminierung einher. Daher ließ der Rat der Stadt Münster 1631 verlauten, dass er diejenigen, „so sich des Zeichen Tragung schämen“, auch der Annahme von Almosen als unwürdig erachte. Das Bettelzeichen als Form der Stigmatisierung wurde auch schon von den Zeitgenossen als solches erkannt. So beschreiben die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Aufzeichnungen des Straßburger Armenpflegers Alexander Berner (um 1500-1558) das Armenzeichen als Schandzeichen. Den Trägern wurde weniger getraut und oft keine Arbeit mehr gegeben. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, entwickelte die Stadt Nürnberg bereits 1523 einen großen Almosenfonds. Durch diesen wurde versucht, denjenigen Hilfsbedürftigen zu helfen, die ein ehrbares Leben führten, sich aber schämten, das Armenzeichen zu tragen. Die Träger des Zeichens wurden auch von bestimmten Aktivitäten des Soziallebens ausgeschlossen, wie dem Wirtshausbesuch oder dem unmoralischen Glückspiel. Hier findet sich das Stigma der Disziplinlosigkeit, da die Bettler unter dem Verdacht standen, ohne Aufsicht ihre gesammelten Almosen gleich wieder zu verprassen.
1713 schufen Bürgermeister und Rat der Stadt Osnabrück zudem noch weiteres Diskriminierungspotenzial durch eine neue Ordnung. Diese legte fest, dass augenscheinliche Bettler sofort vor den Toren der Stadt abgewiesen werden sollten. Hierdurch kam es zusätzlich zur Diskriminierung arm aussehender Personen, denen somit der Zugang zur Stadt verwehrt wurde. So zeigt sich anhand dieser Regulierungsbestrebungen, dass die Situation der einheimischen Armen verbessert werden sollte. Jedoch kam es hierdurch zu einer weiteren Form der Ausgrenzung aus der Gesellschaft.